Digitalisierung trotz limitierter Ressourcen meistern
Data Analytics kann helfen, Erkenntnisse aus verfügbaren Daten für betriebliche Entscheidungen zu gewinnen und sich damit einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Das Unternehmensziel der SITRA Spedition GmbH ist genau das: sie will die Rolle des digitalen Vorreiters einnehmen und sich dadurch von den Wettbewerbern klar abzuheben. Das vorliegende Umsetzungsprojekt hat die Spedition auf diesem Weg bei den ersten Schritten begleitet.
Kurzes Unternehmensportrait:
Das Unternehmen SITRA Spedition GmbH ist ein mittelständisches Familienunternehmen mit Sitz in Hamburg-Wilhelmsburg, das im Jahr 1994 gegründet wurde und verschiedene speditionelle Dienstleistungen anbietet. Geführt wird das Unternehmen von den Söhnen der Gründer, Merlin A. Müller und Björn Wieczorek. Die 25 Mitarbeiter und zehn Auszubildenden des Unternehmens sind in fünf Teams gegliedert und werden von Teamleitern geführt. Das Portfolio des Unternehmens umfasst die Beförderung von Teil- und Komplettpartien, Containertransporte sowie Express- und Sonderfahrten. Der Logistikdienstleister übernimmt zudem die Rolle als reglementierter Beauftragter bei Transport, Lagerung und Dokumentation von gesicherter Luftfracht. Die SITRA Spedition GmbH bietet neben maßgeschneiderten Transportlösungen auch die zeitnahe Überwachung der Sendung mit Auskunft über den aktuellen Stand des Transports an. Die SITRA Spedition GmbH verfügt über fünf Abteilungen. Vier Abteilungen sind im Bereich der Disposition angesiedelt: Im Rahmen der Containerdisposition werden sowohl Import- als auch Exporttransporte organisiert. Die Kurierdienst- und Express-Abteilung bearbeitet dringende Aufträge oder Aufträge, die in anderen Abteilungen nicht mehr geschafft wurden. Die Spedition arbeitet selbst wenig direkt mit Industriekunden zusammen, vielmehr übernimmt sie Aufträge größerer Seefrachtspeditionen für Transporte ins Inland. Hauptaufgabe der Spedition ist derzeit somit die Organisation der Nachläufe.
Wie ist die Ausgangslage?
Im Zuge des Wandels der Logistik der letzten Jahre haben sich die Aufgabenbereiche der Unternehmen geändert. Es lassen sich verschiedene Trends dieses Wandels identifizieren. So sorgen steigende Kosten und zunehmende Individualisierung für die Entwicklung interner Lösungen in betroffenen Unternehmen, um sich an die neuen Herausforderungen anzupassen. Um eine solche Anpassungen durchzuführen, lassen sich Trends wie die Digitalisierung der Geschäftsprozesse und Data Analytics nutzen. Der Einsatz neuer digitaler Technologien, wie zum Beispiel Werkzeuge zur intelligenten Vorhersage, kann zu einer Senkung der Kosten führen (vgl. Kersten et al. 2017, S. 18 ff.). Mit Hilfe der Prädiktiven Analyse lassen sich Geschäftsdaten statistisch auswerten, sodass Vorhersagen und Maßnahmen zur Optimierung in unternehmensinternen und -externen Prozessen getroffen werden können. Moderne Prognoseverfahren bzw. maschinelle Lernverfahren sind dabei von zentraler Bedeutung, um Vorhersagen und Handlungsempfehlungen abzuleiten. Diese setzen allerdings, hinsichtlich der Qualität, eine gute Datenerfassung und -haltung voraus. (vgl. Kersten et al. 2017, S. 32)
In der aktuellen Position der SITRA Spedition GmbH ist das Unternehmen nicht nur von den Aufträgen, sondern auch von der Digitalisierungsgeschwindigkeit der großen Seefrachtspeditionen abhängig. Fahrermangel und das aktuell gelebte Tender-Management, in dem Aufträge immer an das Angebot mit dem niedrigsten Preis gehen, erschweren die derzeitige Situation und erhöhen den oben genannten Kostendruck in der Branche.
Es ist die Aufgabe der SITRA Spedition GmbH die Digitalisierung trotz limitierter Ressourcen zu meistern. Zentrales Ziel der Spedition ist die erfolgreiche digitale Transformation und das Erlangen der Position des digitalen Vorreiters für die kleinen und mittleren Speditionsunternehmen. So sollen Differenzierung und Behauptung im Wettbewerb erreicht werden (vgl. Dörries 2018). Data Analytics-Anwendungen für eine gehaltvolle und aussagekräftige Datenanalyse sollen auf diesem Weg zum Einsatz kommen. Dabei ist der Einsatz eines Pricing Tools sowie eines Transportmanagementsystems (TMS) geplant.
Wie erfolgte der Kontakt?
Auf Basis eines bereits durchgeführten Digital Konkret Workshops[1] wurde im Rahmen der erarbeiteten Roadmap auch das Thema Data Analytics als Handlungsfeld identifiziert. Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Hamburg wurde daher als begleitender Partner auch für den prototypischen Einsatz im Analytics Feld in Kooperation mit SITRA Spedition GmbH ausgewählt.
Was wurde gemacht?
In der ersten Phase des Projektes wurde die SITRA Spedition GmbH anhand eines Reifegradmodells für die Entwicklung von Data Analytics in kleinen und mittleren Logistikunternehmen eingeordnet. Mithilfe dieses Reifegradmodells können Unternehmen bewertet und ihr aktueller Entwicklungsstand im Bereich Data Analytics beschrieben sowie zukünftige Handlungsmaßnahmen abgeleitet werden. Das Modell besteht aus den fünf Dimensionen Strategie & Vision, Kultur & Mitarbeiter, Technologie, Datenmanagement und Analytics, in denen jeweils eine Bewertung des aktuellen Standes vorgenommen wird. Unter den einzelnen Dimensionen werden die jeweiligen Themenaspekte aufgeführt und strukturiert gesammelt.
Abbildung 1: Dimensionen und Themen des DARGMs (Eigene Darstellung)
Pro Dimension werden jeweils die fünf Reifelevel Non Data Analyst, Data Analytics Beginner, Data Analytics User, Data Analytics Advanced, und Data Analytics Expert definiert und Anforderungen aufgestellt. Bei der Bewertung des Reifegrades eines Unternehmens wird in den einzelnen Dimensionen jeweils das entsprechende Reifelevel ermittelt. Zur Einordung der SITRA Spedition GmbH wurden Interviews und eine Mitarbeiterumfrage durchgeführt, bei der zunächst jede Dimension für sich betrachtet und anschließend eine gesamtheitliche Betrachtung durchgeführt wurde. In allen Dimensionen und somit auch insgesamt lässt sich die SITRA Spedition GmbH als Data Analytics Beginner, der sich aber auf einem guten Weg zum nächsten Level befindet, einordnen.
Abbildung 2: Benennung der Reifelevel des DARGMs
Nach einer Analyse der Ist-Situation, wurden in der nächsten Phase im Rahmen des Umsetzungsprojektes Gespräche mit den für die Umsetzung der Digitalisierungsprojekte verantwortlichen Mitarbeitern im Unternehmen sowie den wissenschaftlichen Mitarbeitern der TUHH geführt. Hierbei wurden gemeinsam Zielvorstellungen und Maßnahmen diskutiert und definiert, wie das nächste Reifelevel zu erreichen sei.
Im Rahmen dieser Gesprächsrunde entstand das Ziel, ein maschinelles Lernmodell zur automatisierten Preisermittlung zu entwickeln. Das Lernmodell soll dafür eingesetzt werden, auf Basis verschiedener Parameter, wie zum Beispiel Lademeter, Transportgewicht und Transportentfernung, den Preis für den entsprechenden Auftrag eines Kunden dynamisch zu ermitteln. Diese Preisermittlung soll dabei basierend auf einem maschinellen Lern-Algorithmus erfolgen. Das zu entwickelnde maschinelle Lernmodell soll die Durchführung einer automatisierten, kundenauftragsspezifischen Preisermittlung ermöglichen. Die Entwicklung eines solchen Pricing-Tools erfolgte iterativ, das heißt es wurden Schritt für Schritt Maßnahmen zur Verbesserung der Performance des Modells entwickelt, implementiert und getestet.
Abbildung 3: Ablauf der Preisermittlung
Nachdem die betriebswirtschaftliche Problemstellung definiert wurde, konnte anschließend daraus das Analytics-Problem abgeleitet werden (vgl. Seiter 2017, S. 39). Die zur Lösung des Analytics-Problem notwendigen Ressourcen insbesondere die notwendigen Daten wurden anschließend gesammelt und bereitgestellt (vgl. Seiter 2017, S. 67). Bevor ein maschinelles Lernverfahren ausgewählt und entwickelt werden konnte, musste sich zunächst ein Überblick über den existierenden Datensatz verschafft werden. Dazu wurde für ein besseres Verständnis über die Daten eine erste deskriptive und graphische statistische Analyse des Datensatzes durchgeführt, um so erste Erkenntnisse zu gewinnen, einen Eindruck über die Datenqualität zu erhalten und Muster zu entdecken.
Unabhängig von der Wahl der Analytics-Methode zeigte sich, dass die Datenqualität im Rohdatensatz nicht für die Erstellung eines analytischen Modells, das valide und wertstiftende Ergebnisse liefert, ausreicht. Aus diesem Grund wurden in einem nächsten Schritt Überlegungen angestellt, welche Maßnahmen getroffen werden können, um die Datenqualität zu steigern und inhaltliche Verzerrungen in dem Datensatz zu eliminieren. Mithilfe dieser Maßnahmen, wie beispielsweise die Entfernung fehlender Werte oder die Identifizierung und Eliminierung von Ausreißern, konnte die Datenqualität hinsichtlich der Dimensionen Vollständigkeit und Korrektheit gesteigert werden. Nach Durchführung dieser Maßnahmen war der Datensatz für die Anwendung des maschinellen Lernmodells aufbereitet.
Neben der Vorbereitung des Datensatzes auf die Anwendung der Analytics-Methode, ist auch die Wahl einer geeigneten Methode selbst von entscheidender Bedeutung und hängt dabei entscheidend von der Definition des Analytics-Problems ab. Im Fall der SITRA Spedition GmbH ist es Ziel den Preis eines Auftrags automatisiert zu ermitteln. Der Preis stellt also eine konkrete Antwortvariable dar, die es mithilfe der für die Preisbildung entscheidenden Parameter unter Verwendung eines maschinellen Lernmodell vorherzusagen gilt (vgl. van der Aalst 2011, S. 63). Es zeichnete sich ab, dass die Durchführung einer Regressionsanalyse ein geeignetes Verfahren zur Ermittlung des Preises auf Basis der vorliegenden Daten darstellt.
Die Regressionsanalyse ist ein weitverbreitetes und gut dokumentiertes Verfahren und zur Konstruktion eines Prognosemodells geeignet (vgl. Seiter 2017, S. 133). Aus der deskriptiven Analyse des Datensatzes und den in den Gesprächsrunden berichteten bisherigen Preisbildung konnte angenommen werden, dass der Preis von mehr als einem Parameter abhängt. Es wurde also ein erster Entwurf eines multiplen linearen Regressionsmodells zur Bestimmung des Preises entwickelt und die Prognosegenauigkeit des Modells validiert. Auch nachdem verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Datenqualität durchgeführt wurden, war die Performance des erstellten Modells bis dato nicht zufriedenstellend. Es wurde vermutet, dass nicht nur lineare Zusammenhänge vorliegen und zudem auch Interaktionen zwischen den zur Preisvorhersage verwendeten Parametern bestehen. Solche Interaktionen treten auf, wenn der Effekt eines Parameters von dem Wert eines oder mehrerer Parameter abhängt. Die entdeckten nicht-linearen Zusammenhänge und Abhängigkeiten wurden durch Transformationen der Parameter und Bildung von Interaktionstermen in das Modell implementiert, um eine Verbesserung der Performance zu erzielen (vgl. James et al. 2013, S. 115). Nach jeder ergriffenen Maßnahme zur Verbesserung der Prognosegüte des Modells, fand eine Validierung des Modells statt. Wichtig bei der Validierung eines solchen Modells ist, dass unbekannte, unabhängige Testdaten zur Beurteilung der Vorhersagefähigkeit verwendet werden. Zwar konnte einer Verbesserung der Prognosegenauigkeit erzielt werden, dennoch verhindert die mangelende Datenqualität bisher einen kundenseitigen Einsatz des Tools, mit dem ein Kostenvoranschlag des Auftrags erstellt werden kann. Hierzu ist die Prognosegenauigkeit bisher unzureichend. Um diese Hürde zu überwinden, wird mit dem aktuell eingeführten TMS eine verbesserte Datenlage angestrebt, auf Basis derer dann auch ein kundenseitiger Einsatz erfolgen kann. Das entwickelte Tool lässt sich allerdings bereits jetzt unternehmensintern für kalkulatorische und buchhalterische Zwecke einsetzen.
Abbildung 4: Entwicklung des absoluten Fehlers
Um das Pricing-Tool in der Praxis einsetzen zu können, ist neben der im Hintergrund laufenden Regressionsanalyse auch eine grafische Benutzeroberfläche notwendig, in die die Auftragsdetails, auf deren Basis der Preis ermittelt werden soll, eingetragen werden können. Die Benutzeroberfläche wurde mit Microsoft Excel und der dazugehörigen Entwicklungsumgebung VBA erstellt. Dies ist vorteilhaft, da zum einen Excel die Möglichkeit der Durchführung einer Regressionsanalyse bereitstellt und diese so im Hintergrund ablaufen kann, und zum anderen die SITRA Spedition keine neue Software anschaffen bzw. installieren muss. So ist eine Einbindung in die bisherige IT-Architektur möglich. Nachdem die Parameter eines Auftrages in die Eingabemaske eingetragen und die Preisermittlung gestartet wurde, erscheint eine Infobox mit einem Preisvorschlag inklusive einer Preisobergrenze und -untergrenze.
Abbildung 5: Benutzeroberfläche des Pricing-Tools
Was sind die zentralen Erkenntnisse zum Projekt?
Mögliche Maßnahmen: Vermeidung von Freitexteingaben, Inputvalidierung bei Dateneingabe, Etablierung eines Data Governance Programms im Rahmen der Entwicklung zur datengetriebenen Organisation
Zusammenfassung / Ausblick
Data Analytics kann helfen, Erkenntnisse aus verfügbaren Daten für betriebliche Entscheidungen zu gewinnen und sich damit einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Unternehmensziel der SITRA Spedition GmbH ist es nämlich, die Rolle des digitalen Vorreiters kleiner und mittlerer Speditionsunternehmen einzunehmen und sich dadurch von den Wettbewerbern klar abzuheben. Das vorliegende Umsetzungsprojekt hat die Spedition auf diesem Weg bei den ersten Schritten begleitet. Das Unternehmen wurde dabei bei der Entwicklung und Einführung von Data Analytics-Anwendungen unterstützt. Auch für andere Unternehmen kann dieses Projekt ein gutes und lehrreichen Beispiel sein, da es deutlich zeigt, welche Schritte man für erfolgreiche Data Analytics gehen muss, aber auch welche Probleme dabei auftreten können.
Das entstandene Pricing-Tool erfüllt zwar die zuvor definierten Anforderungen, dennoch wird die aktuelle Performance durch die bestehende Datenqualität begrenzt. Die Datenqualität ist bisher nicht ausreichend, um eine für den externen Einsatz hinreichend gute Vorhersagefähigkeit des Modells zu erreichen, da fehlende und fehlerhafte Angaben zu einer Verzerrung der Preisvorhersage führen. In einer abschließenden Gesprächsrunde wurde ein Anforderungskatalog erstellt, der Maßnahmen zur Verbesserung der Datenerhebung und -erhaltung umfasst und so die Datenqualität steigern soll.
Diese Anforderungen und Maßnahmen gilt es im Zuge der Einführung des neuen TMS in der SITRA Spedition GmbH zu berücksichtigen und umzusetzen, um langfristig die Datenqualität zu steigern. Nachdem über einen gewissen Zeitraum neue Auftragsdaten in besserer Qualität gesammelt wurden, kann dann im Rahmen eines Folgeprojektes das bestehende Modell weiterentwickelt und optimiert werden, um eine Vorhersagefähigkeit zu erreichen, die einen Einsatz in der Praxis ermöglicht.
Das vorliegende Umsetzungsprojekt zeigt auf, welche Bedeutung die Datenqualität bei einer erfolgreichen Umsetzung eines Data Analytics-Anwendungen hat und welche Anforderungen an das Datenmanagement gestellt werden müssen.
Kontakt (Unternehmen)
Marcel Knorky
SITRA Spedition GmbH
Stenzelring 24
21107 Hamburg, Germany
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Web: https://www.sitra-spedition.de/
Kontakt (Universität):
Sebastian Lodemann
Technische Universität Hamburg (TUHH) - Institut für Logistik und Unternehmensführung (LogU)
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Tel: 040 42878-4505
Henning Schöpper
Technische Universität Hamburg (TUHH) - Institut für Logistik und Unternehmensführung (LogU)
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Tel: 040 42878-3770
Literaturverzeichnis
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